Väter traut euch!
Über den Mut gegen den Strom zu schwimmen
Mit dieser Erfahrung stehe ich nicht ganz allein da: Der Journalist Johannes Schneider hat es schon sehr schön beschrieben. Es scheint fast als hätten diese Väter das Gefühl, sie müssten sich rechtfertigen, als eile das schlechte Gewissen voraus, die Gewissheit etwas verpasst zu haben.Was Johannes Schneider nicht schreibt, ist wie es ihm damit geht. Für mich kann ich sagen, ich genieße diesen Moment jedes Mal ein bisschen.
Ich genieße ihr schlechtes Gewissen
Das finde ich aus folgenden Gründen gut: Diese Väter scheinen zu ahnen, dass ihnen damit eine ganz einmalige Chance entgangen ist. Diese Zeit ist unwiederbringlich. Das Statistische Bundesamt hat 2012 zuletzt Zahlen zur Lebensarbeitszeit veröffentlicht. Also der Zeit, die wir zwischen Eintritt ins Berufsleben und Beginn der Rente mehr oder minder täglich „auf Arbeit“ sind. Im Schnitt sind das 36,8 Jahre oder anders gesagt 442 Monate.
Mal ehrlich: 442 Monate – und für uns Männer vermutlich sogar noch länger, da die Frauen ja immer noch länger aussetzen. Außerdem gehe ich von einer weiteren statistischen Verlängerung aus, wenn wir alle später arbeiten und sich durch Bachelor und Co. die Studienzeit verkürzt. Die Kinder hingegen verlängern ihre Kindsein-Zeit nicht.
Ein kleiner Abschnitt mit großer Wirkung – auf alle

Keine Gänseblümchen im Park, aber schlafend im Tuch – auch nett.
Aber zurück zu den 442 Monaten: Wenn wir von einer Elternzeit von sechs Monaten sprechen, sprechen wir also durchschnittlich von 1,36 % der Lebensarbeitszeit.
1,36 %, die einen auf der anderen Seite so viele neue Eindrücke und Erfahrungen bringen wie sie im Beruf selten nie so geballt auf einen treffen. Die einen an ganz neue, unerwartete Grenzen bringen. Aber die auch zu ganz unerwarteten, schönen Erfahrungen führen: Noch nie war es so schön im Park zu liegen und seinem Kind einfach zuzuschauen wie es beim Krabbeln Erde und Gras entdeckt um danach „Flieger“ zu spielen. Noch nie war ein Mittagsschlaf so wunderbar wie nach einer langen, wachen Nacht der Blähungen und Zahnschmerzen. Was für ein Gefühl eine kurze Zeit lang jeden kleinen Entwicklungsschritt der Kinder „live und in Farbe“ mitzuerleben. Was für ein wunderbares Gefühl jeden Tag ein bisschen mehr Vertrauen vom Kind zu bekommen – und ihm jeden Tag etwas mehr zu vertrauen, ihm mehr zuzutrauen.
Vor allen Dingen ist es eine Erfahrung, die sehr lange nachwirkt und Mut gibt: Mein Kind und ich kriegen das zusammen hin. Auch ohne die Mama!
Gänseblümchen im Park im Realitätsschock
Genug Romantik: jetzt mal ein paar erschreckende Zahlen aus dem Jahr 2014. Nach einer Studie des Insituts für Demoskopie Allensbach (echt ein Kracher, sollte man mal gelesen haben) haben 23 % der Väter ihre Berufstätigkeit für die Kinder unterbrochen und 9 % zumindest reduziert. Ich unterstelle jetzt mal für 2014 zumindest 68 % aller Väter echte Versäumnisse und verpasste Chancen! Und von den 23 % die ihre Berufstätigkeit unterbrachen, haben 79 % der Väter brav ihre zwei Elternzeit Monate genommen.
Elternzeit ist schön – Väterzeit ist besser

Einhalb und ich suchen noch mehr „neue Väter“.
Ich möchte nicht wissen, wie viele Väter diese Zeit in „besondere private Projekte“ gesteckt haben, die nichts mit dem Kind zu tun haben. Wie viele Familien die Zeit für einen ausgiebigen Urlaub genutzt haben. Versteht mich nicht falsch: Hobbies sind wichtig und Urlaube toll. Wir haben bei Zweihalb auch dafür gesorgt, dass sich unsere Elternzeit so überschnitten hat, dass ein langer Urlaub drin war.
Aber wenn diese Zeit die einzige Vaterzeit ist, dann werden diese Väter trotz Elternzeit nie diese Eigenständigkeit und nie diese richtig emotionalen und intimen Momente mit dem Kind erlebt haben.
Hier kommt aber noch ein anderes, weit weniger beachtetes Argument, dass ich sehr hoch ansetze: Wenn ein Vater Zeit alleine mit dem Kind verbringt und Mama in dieser Zeit (außer Haus!) arbeiten geht, bekommt ihr und euer Partner einen neuen Einblick in die Perspektive des anderen.
Try walking in my shoes
Als Vater bekommst du mit, wie es ist einen ganzen Tag mit einem nöligen Säugling zu verbringen. Deine Frau versteht, warum es manchmal echt ätzend ist, nach einem anstrengenden Tag im Job als erstes ein Kind in die Hand gedrückt zu bekommen. Das heißt aber für uns Väter auch: Kein Gejammer mehr darüber, dass man als „Ernährer der Familie“ das Kind natürlich nie nachts übernehmen kann, da man ja als Einziger in der Familie am nächsten Tag fit sein muss.
Das Grundverständnis wird ein anderes. Jeder versteht, dass keine Belastung mehr oder weniger wert ist. Egal ob Wäschewaschen, Kinderwickeln oder nachts aufstehen, egal welches Familienmodell gelebt wird. Wenn jeder mal in den Schuhen des Partners gelaufen ist, wird es schwieriger sich auf eine „ich habe recht und du bist doof“-Insel zurückzuziehen.
Nutzt diese Chance – sie kommt so nie wieder
Was Mut macht ist, dass 20 % der Väter sich die Elternzeit gewünscht hätten. Aber sie haben es sich aus diversen Gründen nicht getraut.
Glaubt mir, die meisten Scheren befinden sich im Kopf. Auch mein Arbeitgeber war am Anfang mehr als skeptisch. Aber die erste und die zweite Elternzeit sind gut vorüber gegangen und die Firma hat dieses überlebt. Projekte kommen auch morgen wieder die es zu bewältigen gilt, mit denen man sich profilieren kann und wird. Wir sind noch lange genug dabei, um ein oder zwei auszulassen. Dafür sind wir frisch und voller neuer Eindrücke bei den nächsten dabei. (Leander Scholz findet sogar, dass Manager, die Erfahrung mit Kindern haben, die besseren Entscheidungen träfen.)
Ja, Arbeitgeber finden das mindestens ungewöhnlich, es ist zusätzlicher Aufwand. So what? Gesellschaft ändert sich nicht von selbst. Und Achtung, jetzt wird’s politisch: Wir sind alle ein Teil dieser ominösen „Gesellschaft“ und bestimmen damit, in unseren kleinen Alltagskreisen, jeden Tag mit, wie wir leben. Nörgler und Kritiker auf der Arbeit werden verstummen wenn ihr es getan habt, gut gelaunt wiederkommt und euren Job macht.
Wovor habt ihr Angst? Glaubt ihr, die Mütter wissen’s besser?
Ihr glaubt, ihr schafft das mit der Kinderbetreuung nicht? Tut ihr doch! Wir haben alle keine Ahnung wenn wir anfangen. Und mit wir meine ich hier: Mütter und Väter. Kein Ratgeber, keine Ausbildung, kein Studium, keine kleinen Geschwister, Nichten und Neffen oder Babysitter-Erfahrungen bereiten uns darauf vor, wie es ist, sich 24/7 um das eigene Kind zu kümmern. Das gilt für beide Geschlechter.
Das Schöne ist, dass uns unsere Kinder und ihre Entwicklung die Zeit lassen, in unsere neue Rolle hinein zu wachsen. Ihr müsst Euch nur darauf einlassen.
Money, money, money
Tja und natürlich das große Argument der finanziellen Einbußen. Bitte rechnet euch das nochmals wohlgesonnen durch. Ja, es wird weniger Geld in die Kassen kommen. Aber lasst es euch das wert sein. Bei vielen Vätern habe ich oft das Gefühl, dass es gerne als Totschlagargument benutzt wird. Schluss und aus mit der Diskussion, wir können uns das nicht leisten. Ja, Kinder kosten Geld. Aber wir bekommen die Elternzeit zu 67 % bezahlt! Fragt mal z. B. bei Schweizer oder Englischen Eltern nach, da gibt es das so nicht. Das ist eine einmalige Gelegenheit! Nutzt sie!
Das tut euch gut.
Das tut euren Kindern gut.
Das tut eurer Beziehung gut.
So, ich habe fertig und übergebe das Wort an Ugly Kid Joe, mit ihrem Lied über abwesende Väter
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