Schuld war nur der Arbeitnehmer
Wahre Geschichten über Vereinbarkeit
Wir schreiben das Jahr 2019. Die aktuelle Bundesregierung, ebenso wie ihre Vorgängerinnen, bemüht sich in besonderem Maße junge Eltern, vor allem Mütter, davon zu überzeugen, dass es superklasse ist, bezahlt erwerbstätig und Elternteil zu sein. Initiativen werden gestartet, Preise werden vergeben … Und so kehren viele Mütter, in dem untrüglichen Glauben aufgewachsen, dass Gleichberechtigung existiert und ihre Arbeitskraft gewünscht ist, mit einer relativ hohen Stundenzahl zurück in’s Erwerbsleben.* Das geht mal gut, mal nicht so gut und die meisten von uns wurschteln sich so durch. Und dann gibt es Geschichten wie die von meinen Freundinnen N., B. und A., die ich euch heute erzählen möchte.
Flexibel – nur die Arbeitnehmer
N. hat zwei Kinder, eine engagierten Mann, keine Familie vor Ort und ist bei einem nicht ganz kleinen Unternehmen in unserer Region angestellt. Von der Branche würde ich schätzen: Schon ein Männerüberschuss, aber dann eher 60 als 80 Prozent Männeranteil. Es ist also nicht übertrieben, wenn die geneigte Leserin jetzt davon ausgeht, dass N. nicht die einzige und vor allem nicht die erste Mitarbeiterin war, die in Teilzeit wiederkommt. Das wiederum lässt uns jetzt ja alle davon ausgehen: Die Personalabteilung, die Vorgesetzen, die Kolleginnen und Kollegen – alle wissen wie das so ist.
Schuld – nur die Arbeitnehmer
Leider hat bereits der letzte, feuchte Winter die Kinder von N. ziemlich gebeutelt: Gefühlt war zwischen November und Februar immer jemand krank. Wie das so ist, mit arbeitnehmenden Eltern, N. und ihr Mann sie jonglierten mit Freunden, Homeoffice, teilten sich die Betreuung der Kinder. Kurz: Sie machten möglich, was möglich zu machen war. Dennoch wurde N. ziemlich offen der hohe Krankenstand ihrer Kinder vorgeworfen. Aber, was soll sie machen? Der nächste Frühling kommt bestimmt und wie heißt es doch, jeder Infekt macht das Immunsystem stärker. Das bei einer notwendigen Versetzung ihre Wünsche übergangen wurden, lässt sich nun natürlich auch nicht mehr ändern. Das neue Team scheint auf jeden Fall nett zu sein und verschiebt eine regelmäßig sehr früh stattfindende Besprechung für N. um eine halbe Stunde nach hinten.
Im Mai gibt es traditionell und nicht ganz unerwartet eine ganze Reihe Feiertage, häufig mit Brückentag. Viele Kindergärten öffnen dann nur mit einer Notbetreuung. Diese müssen Eltern immer vorher anmelden – sodass sowohl eine Erzieherin Urlaub nehmen als auch der gesetzlich vorgeschriebene Personalschlüssel eingehalten werden kann. Die Kita, in der die Kinder von N. sind, geht aber noch ein wenig weiter: Die Eltern brauchen eine Bestätigung des Arbeitgebers, dass der betreffende Arbeitnehmer an diesem Tag arbeiten muss.
Möglich machen – nur die Arbeitnehmer
N. wurde dieser Zettel schlicht nicht ausgefüllt. Sie könne ja Urlaub nehmen oder Überstunden abbauen. Diese Aussage bekam sie von verschiedenen Stellen und Positionen. Mal ganz abgesehen davon, dass ich das Verhalten der Kita fragwürdig finde. Die Aussage des Arbeitgebers ist völlig daneben: Natürlich sind die Urlaubstage längst verplant, um Ferien und Co. abzudecken. Zudem hat sie eine Position, die sie räumlich und zeitlich bindet. Also eine Stelle, wo frau in Teilzeit quasi nie Überstunden ansammelt. Erst Recht nicht, wenn sie mit dem Bringen und Abholen der Kinder betraut ist.** Und es handelt sich hier ja nicht, um eine Aussage vor Gericht. Niemand macht sich des Meineids oder Betrugs schuldig, wenn er diesen Zettel abzeichnet. Ich nenne das Schikane.
Was mich gedanklich zur Freundin B. bringt. Ihr wurde vom neuen Chef ohne nachvollziehbare Erklärung oder sachlicher Notwendigkeit das Homeoffice gestrichen. Mag er halt nicht. Die guten, nachvollziehbaren Gründe von B. waren irrelevant.
In Sachen Überstunden, muss ich auch an A. denken, deren Arbeitgeber ihr als Teilzeitkraft an einem Feiertag pauschal nur 5 Stunden auf das Arbeitskonto schreibt. Selbst wenn der Feiertag auf einen ihrer „langen Tage“ fällt, an denen sie 8 Stunden arbeitet. So hat sie halt Pech. Führt dazu, dass sie nach einem gesetzlichen (!) Feiertag schon mal drei Minusstunden hat. Die langen Arbeitstage sind übrigens im Vertrag definiert.
Ich komme nicht umhin mich zu fragen:
Liebe Arbeitgeber, habt ihr den Schuss nicht gehört?
Wie könnt ihr über Fachkräftemangel und Auszubildende klagen, die nicht leistungsbereit genug wären? Wie wagt ihr es, Preise** entgegenzunehmen, die euch als familienfreundlich auszeichnen, wenn ihr Tag für Tag die Arbeitnehmer*innen, die gut ausgebildet, eingearbeitet und leistungsbereit vor euch stehen, vor den Kopf stoßt?
Wieder und
wieder und
wieder.
Vereinbarkeit in Deutschland im Jahr 2019 ist viel zu oft noch eine Einbahnstraße. Wie gerne würde ich sagen „noch“ – aber irgendwie fehlt mir grad der Glauben … Aber auch die Ideen, wie sich diese Kultur und Denkweisen in Unternehmen schnell ausrotten lässt. Ideen gerne zu mir.
* Die tatsächliche Stundenzahl ist dabei aus Arbeitnehmersicht völlig egal: Jede von uns arbeitet das, was für sie in ihrer Situation und mit ihren Voraussetzungen (seien Sie logistisch, finanziell, physisch oder psychisch) machbar ist. Aus Arbeitgeber-Sicht ist es übrigens auch egal: Es ist immer zu wenig.
** Anders als bei mir, die ich Minuszeiten unter der Woche am Abend oder Wochenende mit Homeoffice auffüllen kann. Oder die gleich mal von zuhause arbeitet, weil ohne die Pendelei auch alle Aufgaben ohne Minusstunden möglich ist. Scheinbar vergessen das aber viele leitenden Angestellten, die auch nicht mehr zwanghaft an Öffnungszeiten gebunden sind.
***Ich habe geschaut, einer der drei Arbeitgeber hat tatsächlich das „berufundfamilie“-Siegel und wirbt damit auf den Karriereseiten.
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