Lieber Kindergarten,
wir müssen reden. Zu allererst, möchte ich Dir danken für die gute Betreuung unserer Tochter. Sie geht sehr gerne zu Dir! Schon immer. Wird sie früher abgeholt, ist sie sauer, Wochenenden mag sie nicht besonders, Sommerferien findet sie doof. Der Grund ist immer der Gleiche: Zu diesen Zeiten gibt es zu wenige Kinder! Wir können gar nicht so viel basteln, vorlesen, gemeinsam singen oder Rollenspiele spielen, um das auszugleichen.
Aber nicht nur die Kinder haben es ihr angetan. Sie liebt ihre Bezugserzieherin und vertraut allen Erwachsenen, die bei Dir arbeiten. Sie fühlt sich sehr wohl. Das entlastet uns als Familie mit zwei berufstätigen Eltern ungemein. Wir spüren jeden Tag, welche wichtige Aufgabe Du übernimmst: Nicht vorrangig für die „Verwahrung“, damit wir arbeiten können, sondern für die Entwicklung und Förderung unserer Erstgeborenen. Und auch wir als Eltern schätzen die Bezugserzieherinnen unserer Tochter als Vertraute und Partner in der Erziehung des kleinen Wildfangs, ganz gleich, ob es um Wutanfälle, eine neue Schwester oder Einschulungstermine geht.
Als wir vor zwei Jahren berufsbedingt hierher zogen, war es daher für uns ein großes Glück, dass wir für Einhalb den Platz bei Dir erhalten haben.
Steter Tropfen höhlt den Urlaubsantrag
Aber heute muss ich mich trotz allem bei Dir beschweren. Ich möchte mal eine kleine Beispielrechnung aufmachen: Ich arbeite angestellt in einer Firma der nächsten großen Stadt. Ich habe Glück und die Zahl meiner Urlaubstage liegt deutlich über dem gesetzlichen Mindestanspruch von derzeit 24 Tagen bei einer Vollzeitstelle. Jedoch: Sie ist begrenzt! Und hier fängt mein Problem an. Denn im Kindergartenjahr 2015/2016 kommen folgende Schließzeiten auf uns zu:
- 15 Tage Sommerferien
- 3 Tage Konzeptionstage
- 5 Tage Weihnachten – viel in diesem Jahr, aber nicht zu ändern
- 1 Tag Buß- und Bettag, ist zum einen gesetzlicher Feiertag in Hessen und steht nicht im Vertrag über die Betreuungszeiten
- 2 Tage Brückentage als Zeitausgleich der Erzieherinnen, für die Kita-Freizeit
- 1 Tag Betriebsausflug
- 1 Tag Schulanfängerausflug
28 GANZE TAGE, die ich Urlaub einreichen muss! Das entspricht mehr als 90 Prozent meines Jahresurlaubs, über den ich damit nicht mehr frei verfügen kann. Laut Vertrag sind es 19 Schließtage zuzüglich der Zeit „zwischen den Jahren“.
Halt, es stimmt nicht ganz. Denn in dieser Auflistung sind nur die ganzen Tage aufgeführt, die meine Tochter nicht in die Einrichtung kann. Die vielen halben Tage, an denen das Kind früher abgeholt werden muss: Wie die Proben zum Krippenspiel oder den Laternenumzug oder die Weihnachtsfeier. Das gleiche gilt für Rosenmontag – alles Termine, an denen die Kita früher schließt und wir später mit den Kids wiederkommen. Insgesamt sind es in diesem Kindergarten-Jahr vier halbe Urlaubstage.
Von der Kindergarten-Tür bis zu meinem Schreibtisch (oder anders herum) benötige ich etwa 45-50 Minuten. Ein halber Urlaubstag beginnt bei mir um eins – Du merkst, worauf ich hinaus will? Falls nicht: Ich komme mit meinen Urlaubstagen weder vorn noch hinten hin!
Extra-Termin: Bastelnachmittag

Der Aushang des Anstoßes – bitte entschuldigt die schlechte Qualität, der Gedanke zum Text kam erst später auf.
Und dann fragst Du mich, lieber Kindergarten, an welchem Tag ich lieber um 13:30 Uhr mit meiner Tochter basteln möchte? Ganz ehrlich? GAR NICHT möchte ich!
Denn, lieber Kindergarten, weißt Du was: Ich habe noch ein zweites Kind. Und auch die Krippe von Zweihalb hat Konzeptionstage (also einen genau genommen). Sie hat auch eine Adventsfeier und auch ein Laternenbasteln (beides allerdings ohne Zeit, die wir Eltern überbrücken müssen).
Jetzt sagst Du bestimmt, ich hätte ja auch noch einen Mann und Großeltern. Ja, ein Glück! Aber weißt Du was: Es gibt Termine, die möchten wir beide gerne wahrnehmen. Auch haben wir eine Familie gegründet, weil wir uns (meistens) ganz gern haben. Was heißt, wir verbringen gerne Zeit miteinander, z. B. im gemeinsamen Urlaub. Da Deine Sommerschließzeiten sich nicht mit dem der anderen Einrichtungen im Kreis decken, kann ich jetzt schon absehen, dass es im nächsten Jahr mit dem gemeinsamen Familienurlaub wohl nicht klappt.
Die Großeltern haben hin und wieder auch eigene Pläne. Sie lassen diese notfalls umgehend fallen – aber das ist ja unser privates Glück. Das kann und solltest Du nicht voraussetzen. Ich schreibe diesen Brief auch nicht nur für mich. Denn nicht jeder in unserem Kindergarten lebt in einer Partnerschaft: Schon mal darüber nachgedacht, dass auch alleinstehende Eltern Arbeitgeber haben?
Und die anderen Eltern kriegen das ja auch hin? Das ist toll für sie, ehrlich! Aber als integrativer Kindergarten schaffst Du es ganz wunderbar, verschiedenste Kinder zu akzeptieren und anzunehmen – das sollte eigentlich auch für ihre Eltern gelten.
Vorwürfe statt ein gemeinsamer Strang
Was ich, und sicherlich auch alle anderen betroffenen Eltern, nicht brauche, sind (unausgesprochene) Vorwürfe, warum es uns denn nicht möglich ist, diesen Terminen nachzukommen. Auch hochgezogene Augenbrauen sind wenig hilfreich. Und bevor der jetzt die Frage aufkommt, warum wir denn dann überhaupt Kinder bekommen haben: Das geht Dich gar nichts an.
Ich weiß, Du hörst es nicht gerne, dass Du eine Betreuungseinrichtung bist. Du stellst lieber den Erziehungsauftrag in den Vordergrund. Auch gut: Ich bin wie oben schon erwähnt sehr froh, dass meine Tochter nicht nur verwahrt wird, sondern sich in Deinen Räumen entfalten und entwickeln kann. Aber nicht nur die Kinder, auch wir Eltern brauchen Verlässlichkeit. Und unsere Arbeitgeber und unsere Kunden brauchen sie übrigens auch.
Fakt ist, lieber Kindergarten, wir haben einen Vertrag, Du und ich. Ich erfülle meinen Teil soweit es mir irgendwie möglich ist – Du machst es mir aber häufig nicht wirklich einfach. Aber das kriegen wir doch hin oder? Denn eigentlich mag ich Dich!
Liebe Grüße
Deine Jette
Oder sehr ihr die Arbeitgeber stärker in der Pflicht? Wären flexiblere Arbeitszeiten die Lösung? Was meint ihr?
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